Glück heißt für die ambitionierte Frau von heute, einen Job mit fairen Aufstiegschancen zu ergattern. Glück ist, einen Partner zu haben, auf den man sich in einer Zeit des Wandels verlassen kann. Zum Glück braucht es Kinder, idealerweise zwei Stück (inkl. Kinderbetreuung). Ein Haus – oder wenigstens eine Eigentumswohnung. Und Freunde natürlich …
Wir schreiben das Jahr 2015. Nie waren Frauen so privilegiert. Nie gab es so gute Chancen, das perfekte Zwei-Sphären-Glück zu verwirklichen: den beruflichen Erfolg und die private Geborgenheit; die satte Rendite und die Pyjama-Party mit den Kids. Von allen Seiten werden wir gefördert und ermutigt, groß zu denken. Unseren Traum von einem guten Leben zu realisieren, beruflich wie privat. Kein Wunder, dass wir in Scharen zum perfekten Zwei-Sphären-Glück hinstreben. Auch wenn wir auf dem Weg dorthin meist realisieren: [longquote source=““]Glücklich werden ist ziemlich anstrengend.[/longquote]
Mythos Zwei-Sphären-Glück
Erfolg und Leistung
Der permanente Rollenwechsel zwischen tougher Business-Frau und fürsorglicher Partnerin und Mutter ist ein Klacks: So lautet ein Mythos, der sich großer multimedialer Beliebtheit erfreut und mit der Realität der meisten Frauen wenig zu tun hat. Dennoch sind viele von uns wild entschlossen, das Zwei-Sphären-Glück mittels systematischer Selbstausbeutung doch noch zu erzwingen. Warum ist das so, und wer ist schuld daran? Sind es die Dynamiken des Raubtierkapitalismus? Ist es nach wie vor mächtige Patriarchat? Oder die unfähige Politik?
Eins ist jedenfalls sicher: Frauen sind heute bereit, alles für ihr Glück zu geben. Ihre Disziplin und Multitasking-Befähigung macht sie zu „perfekten Mitgliedern der neoliberalen Gesellschaft“, wie die britische Kulturwissenschaftlerin Angela McRobbie schreibt.
Moderne Frauen sind diszipliniert - und Meisterinnen der Selbstausbeutung. Share on XAber ist das weibliche Glück wirklich nur zum Preis der Erschöpfung, des chronisch schlechten Gewissens, der Selbstüberforderung zu haben? Oder gibt es noch einen anderen Weg?
Die Antwort vieler von den digitalen Medien promoteten weiblichen Role Models lautet: Nein! Es kann nicht nur, es muss möglich sein, sich als verheiratete Mutter an die Spitze zu kämpfen – und dabei auch noch atemberaubend auszusehen! Eines der besten Beispiele ist Sheryl Sandberg, COO bei Facebook. In ihrem legendären TED Talk „On Why We Have Too Few Women Leaders“ motiviert sie ihre Geschlechtsgenossinnen zu Recht, ihre Talente besser zu verkaufen, sich einen emanzipierten Mann mit Mut zur Erledigung lästiger Haushaltspflichten zu suchen und nicht vorschnell auf Job-Chancen zu verzichten
Das ist es, was Sandberg sagt. Doch es ist nicht nur ihr Mund, der spricht, es ist auch ihr Look. Die non-verbale Botschaft ihres sexy Outfits und ihrer Mörder-Stilettos ist auf verwirrende Weise ambivalent. Sie lautet einerseits: „Hey Mädels, ihr alle könnt sein wie ich – eine stylishe Top-Managerin mit warmen Mutterinstinkten!“ und andererseits: „Hey Girls, ich bin ganz klar besser, schneller, heißer als ihr – also legt gefälligst noch einen Zahn zu!“
Ohne Selbstdenken keine weibliche Solidarität
Was folgt daraus? Die Frage ist nicht, ob Frauen alles haben können oder nicht. Die Frage ist, ob sie selbst das perfekte Zwei-Sphären-Glück wollen. Oder ob sie es nur wollen, weil die anderen es anscheinend auch wollen …
Das POTENZ-ial der modernen Frau
Die wichtigste Kompetenz einer Frau im 3. Jahrtausend nach Christus ist weder ihr Verhandlungsgeschick noch ihr Durchsetzungsvermögen noch ihre Empathiefähigkeit noch ihr Sinn für die perfekte Selbstinszenierung. Es ist ihre Fähigkeit, selbst zu denken. Sich ein eigenes Urteil darüber zu bilden, wie sie leben möchte. Worin sie selbst ihr Glück finden will. Es ist ihre Fähigkeit, sich selbstdenkend und -fühlend in andere Frauen hineinzuversetzen, die andere Lebensentscheidungen getroffen haben und zu realisieren: Wir sind viele – so wie auch unsere Vorstellungen vom Glück vielfältig sind.
Niemand zwingt uns, Sheryl Sandberg zu imitieren. So wie uns auch niemand zwingen kann, den ganzen Tag am Herd zu kleben und Muffins zu backen. Wir können alles tun – aber wir müssen nicht. Statt einander als Konkurrentinnen im Kampf um das perfekte Glück anzusehen, brauchen wir mehr Toleranz und Solidarität untereinander. Damit jede von uns das Glück finden kann, das ihrer authentischen Persönlichkeit, ihren Träumen und Wünschen wirklich entspricht.
Kleine Philosophie der Macht (nur für Frauen):