Nicht alle Frauen wollen Macht. Hillary Clinton schon. „Ich kandidiere als Präsidentin. Amerikaner brauchen jeden Tag einen Champion, und ich will dieser Champion sein“, sagte sie in einem Wahlwerbespot. Die ehemalige First Lady und US-Außenministerin ist eine mächtige Frau. Wirklich? Wenn Hillary Clinton mächtig ist – was ist dann Donald Trump?

„Macht“ ist ein Wort, das einen schon beeindruckt oder einschüchtert, bevor man es überhaupt begriffen hat. Macht geht auf das altgotische Wort magan für „machen“, „können“, „vermögen“ zurück. Das lateinische Wort für Macht ist potenzia. In einem sehr grundsätzlichen Sinne meint Macht also die Potenz, etwas beeinflussen, bewirken, verändern zu können.

Das Ende der männlichen Macht?

Im Jahr 2016, dem Jahr, in dem die US-Bürger einen neuen Präsidenten oder erstmals eine Präsidentin bekommen, heißt es oft: Die Macht ist weiblich! Im Zeitalter der Digitalisierung, wo Kommunikation, Vernetzung, Flexibilität ganz groß geschrieben werden, braucht die Macht ein weiches Image. Weibliches Können ist gefragt wie nie. Mädchen schneiden in der Schule besser ab als Jungs, sind disziplinierter, leistungsorientierter, anpassungsfähiger. Potenziell sind sie irgendwie alle künftige Konzernlenkerinnen, Aufsichtsrätinnen, Nobelpreisträgerinnen, Weltverbesserinnen!

Nur: Wenn die Macht jetzt weiblich ist, was wird dann aus der männlichen Macht? Großes Fragezeichen. Seit einiger Zeit werden die vielen kleinen rosa Wölkchen am Himmel von einem gewaltigen Donnergrollen bedroht. Es sind die Stimmen von einigen Herren, die zum Gegenschlag ausholen, weil sie ihre angestammten Privilegien bedroht sehen. Diese Stimmen kommen von links wie von rechts. Etwa von dem Enfant terrible der französischen Literatur Michel Houellebecq, der allen Ernstes vor der Ausrottung des „männlichen Zeitalters“, der „Männlichkeit selbst“ warnt.

Die wohl derzeit gefährlichste Stimme gehört Donald Trump, dem Meister der „post-truth“, der sogenannten post-faktischen Selbstinszenierung. „Ich bin eure Stimme!“, sagt Trump in seiner Dankesrede zur Nominierung als republikanischer Präsidentschaftskandidat. Und stellt damit klar, wem die Macht gehört: ihm selbst natürlich als Stellvertreter aller zorniger weißer Männer. Er reklamiert einfach alles für sich: Die Redemacht, die Macht über die Wahrheit, die männliche Potenz, die Macht der männlichen Norm.

Macht kommt von Machen, von Können. Die Frage ist: Warum kann Hillary Clinton nicht, was Trump kann? Sie ist diszipliniert, eine erfahrene Politikerin, sie hat schon in ihren früheren Ämtern ihre toughness bewiesen, und sie hält sich sogar an die Wahrheit (jedenfalls öfter als Trump).

Storytelling in Zeiten von „post-truth“-Politik

Aber sie hat Mühe, eine Geschichte zu erzählen, die all ihre vergangenen und gegenwärtigen Rollen zu einer kohärenten Identität zusammenwebt: Die Ehefrau, die Mutter, die Betrogene, die Politikerin, die potenzielle Präsidentin. Und das ist entscheidend in einer Zeit, in der nicht die Ratio groß geschrieben wird, sondern das Geschichtenerzählen (Storytelling, wie es im Marketing heißt). Mit der Vermarktung und Selbstermächtigung des eigenen, vorgeblich authentischen Ich scheint der inkonsistent-lügnerische Trump immer noch auf-trump-fen zu können. Woran liegt das?

Storytelling verträgt sich schlecht mit Ratio Twittern

Ich glaube, es liegt an der Macht der Norm. Sie ist es, die uns sagt, was eine „gute Frau“, ein „guter Mann“ jeweils sein sollen. Nach der traditionellen Geschlechternorm der weißen westlichen Mittelklassegesellschaft ist eine „gute Frau“ fürsorglich, häuslich, einfühlsam, attraktiv. Eine „gute Frau“ darf eine Lungenentzündung bekommen und schwach sein. Hillary Clinton nicht. Denn sie hat es sich in den Kopf gesetzt, nicht nur der weiblichen, sondern auch der männlichen Norm zu entsprechen. Hillary will aktiv, unabhängig sein, erobern, der „Champion“ für alle Amerikaner sein; sich in die Reihe aller amerikanischer Mythen stellen, all der großen Männer, Pioniere, Cowboys, Selfmademillionäre. Und Präsidenten.

Womit sie die Quadratur des Kreises versucht. Sie navigiert hochprofessionell zwischen den verschiedenen Entwürfen ihrer selbst hin und her – der toughen, starken, männlichen und der mütterlichen, weichen Hillary. Aber leider vergisst dabei, dass sie auch im Jahr 2016 nicht einfach beides sein kann. Frau UND Mann.

Die amerikanische Philosophin Charlotte Witt nennt das soziale Frau-Sein bzw. Mann-Sein die „Mega-Rolle“, die all unsere anderen Rollen dauerhaft lenkt und beeinflusst. Ob wir wollen oder nicht. Frau bleibt Frau. Entweder oder. Entweder Frau – oder Präsident. Entweder Mann – oder Schwächeanfall. Die Frau- oder Mann-Norm bleibt die unverrückbare Brille, durch die wir beobachtet, beurteilt, verurteilt werden. Das ist der tiefere Grund, warum Hillary Clinton ihr Können, ihre Machtbefähigung nicht glaubwürdig kommunizieren kann (E-Mail-Affäre hin oder her). Die Mega-Rolle Frau hat im Vergleich zu der nie dagewesenen Rolle der amerikanischen Präsidentschaftskandidatin eine Übermacht.

Hillary Clinton ist ein außergewöhnliches und doch typisches Beispiel der modernen Frau. Die moderne Frau ist mächtig. Sie kann, sie vermag so vieles. Aber ihre Macht endet da, wo die Macht geschlechtsspezifischer Normen beginnt. Es ist in unser aller Interesse, diese Macht der Norm aufzubrechen. Durch mehr Nonkonformismus, mehr Rollenvielfalt. Durch eine Neubestimmung unserer Rollenideale. Und dessen, was eine Frau, was einen Mann wirklich wertvoll macht.

 

Kleine Philosophie der Macht (nur für Frauen):

Wie Frauen Macht als Schlüssel zu Freiheit und Glück nutzen können, zeige ich mit alltagstauglichen philosophischen Strategien.