„Macht“ ist ein eindrucksvolles Wort, das eine geheimnisvoll diffuse Aura verströmt. Es eignet sich daher hervorragend, jeglicher Diskussion darüber, was Führung in Unternehmen bedeutet und bedeuten sollte, Gewicht zu verleihen. Die grundsätzlich unreflektierte Rede von der Macht im leadership-Kontext gibt es in zwei unterschiedlichen Versionen.
Auf der einen Seite ist da der tendenziell negative, männlich-militärisch assoziierte Machtbegriff. Management-Vordenker Clayton M. Christensen etwa versteht unter Macht ein Bündel „autoritärer Maßnahmen wie Sanktionen, Druck, Zwang oder Drohungen“, das eingesetzt werden soll, um die Zusammenarbeit kooperationsunwilliger Beschäftigten in Change Prozessen zu forcieren. Als beispielhaft hebt Christensen die Methoden hervor, mit denen Marschall Tito die Geschicke des ehemaligen Jugoslawiens lenkte.
Auf der anderen Seite finden wir den positiven, aber schwammigen Begriff einer gewaltlosen Wirkmacht, der auf die wortgeschichtliche Wurzel verweist, das gotische „magan“ für „machen“ und „können“. Es ist diese Macht-Auslegung, die sich problemlos mit weiblich konnotierten Normen und Tugenden wie Sorge, Vertrauen und Freigebigkeit verbindet. Sie wird typischerweise von Frauen mit Top-Karrieren ins Spiel gebracht, etwa von Aufsichtsrätin Simone Menne („In Zukunft werden diejenigen mehr Macht haben, die sie teilen“).
Wie es scheint, hat man heute die Wahl zwischen zwei Formen der Macht: der guten, „inneren“ Macht – einer Autorität, die auf die quasi-natürliche Überlegenheit von Kompetenz und Herzensbildung setzt; und der bösen, „äußeren“ Macht, die mit command-and-control-Maßnahmen operiert. Entscheider, die als modern und innovativ gelten wollen, zählen sich selbstverständlich zu den Guten. Weshalb sie nicht müde werden zu betonen: ‚Die Zukunft der Macht wird weiblich!’ Wo Flexibilität, Transparenz, Kommunikation und Vernetzung groß geschrieben werden, braucht die Macht ein sanftes Image: intrinsisch motivierte, dynamische Menschen in Jeans, die wertschätzend auf einander einwirken und sich begeistert digital transformieren. In der schönen neuen Unternehmenswelt darf jeder und jede machen, was sie/ er kann. Wessen Macht sich in welche Führungsebene übersetzt, ist nur mehr eine Frage des individuellen Vermögens. Und des Wollens. Eigentlich. Anscheinend. Scheinbar?
Tatsächlich besteht in Deutschland nach wie vor eine enorme Diskrepanz zwischen der Anzahl hochqualifizierter Frauen und der Entscheiderinnen in Top-Positionen. Das ist seltsam. Führen Frauen weniger gern wie Männer? „Machen“ oder „können“ sie nicht genug?
Was ist Macht?
Wenn wir ernsthaft die Normalisierung von female leadership zum Vorteil aller voran treiben wollen, sollten wir aufhören, über „Macht“ nur unklar zu raunen. Es gilt, erkennen zu lernen, wo und wie sie konkret in Erscheinung tritt, wo sie wie wirkt. Macht an sich ist weder gut noch böse. Solange sich die Macht zu etwas nicht als Macht über etwas oder jemanden bemerkbar macht, bleibt sie bloße Potenz: „Alle Machtanwendung ist Freiheitsbegrenzung. Jede Macht ist daher rechtfertigungsbedürftig“, schreibt der Philosoph und Soziologe Heinrich Popitz. Individuelle Macht ist nichts Statisches, sondern dauernd in Veränderung begriffen. Sie entsteht durch Handeln, wird größer oder kleiner, wächst oder schwindet. Individuelle Macht ist nicht absolut, sondern relativ. Sie wirkt je nach Kontext, je nach sozialem Gefüge. Machtkonflikte gibt es nicht nur zwischen Individuen, sondern auch zwischen Mensch und Unternehmen. Immer dann, wenn dieses Unternehmen individuelle weibliche Machtansprüche durch (un)sichtbare männliche Codes, Regeln, Rituale verhindern will.
In Unternehmen verbindet sich Macht weniger mit bestimmten Personen als mit bestimmten Positionen, die von diesen Personen ausgefüllt werden. Sie erscheint unpersönlich, überpersönlich. In allen Unternehmen – auch in den hierarchiefreien – wirkt die normierende Macht: Ein Machtraum, der für normativ „verfestigte“ Konformität und Fügsamkeit sorgt. Wer in einem Großkonzern Verantwortung übernehmen will, läuft nicht mit Ganzkörper-Tattoo herum; wer in einem Startup eine Kultur des Vertrauens etablieren möchte, trägt keinen Anzug.
Frauen, die führen können und wollen, kommen mit der normierenden Macht meist gut aus. Was Ihnen die Suppe versalzt, ist die Macht der männlichen Norm. Denn diese bewirkt, dass weibliche leadership auch im 3. Jahrtausend nach Christus immer noch zu oft aus der Perspektive und mit den Kriterien männlicher Autoritäten beurteilt werden. Solange Führungskompetenzen wie Rationalität und Durchsetzungsvermögen als männliche Idealnormen begriffen werden, regiert im Zweifelsfall nicht die beste Kompetenz. Sondern das unbewusste Vorurteil („implicit bias“): „Frau Meier gehört der Gruppe der BH-Träger an, deren Mitgliedern Sinnlichkeit und Mütterlichkeit nachgesagt wird. Also ist sie als Leaderin ungeeignet.“
Zu signalisieren: I’m the best!, ist im Spiel um den Erfolg stets den male leaders vorbehalten. Dies liegt wesentlich auch an ihrer größeren Redemacht. Die öffentliche Rede ist, wie die britische Historikerin Mary Beard (*1955) gezeigt hat, seit der Antike männlich geprägt. Bis heute dominiert er das Parkett von Wirtschaft wie Politik, weil seinem Wort die größere Autorität und Kraft zugeschrieben wird. Er beherrscht (im doppelten Wortsinn) die relevante Rhetorik – eben gern auch in Form mimisch-gestisch überformter Eigen-PR, die den Status seinen jeweiligen Rolle festigt und erhöht. Wer die größte Diskursmacht hat, hat den größten Auftritt, die größte Macht. Solange die wichtigsten Diskurse – damit die wichtigsten Entscheidungen – männlichen Sprechblasen entspringen, sind Slogans wie ‚Die Zukunft der Macht wird weiblich!’ der reinste Hohn.
Anleitung zum Mächtigsein
Was folgt daraus? Macht hat, wo immer sie wirkt, viele Gesichter, schöne und hässliche. Was wir brauchen, sind nicht noch weitere vernebelnde Image-Kampagnen für ein softes, edles, weibliches „Machen“. Sondern vernünftige Maßnahmen, die es ermöglichen, Macht und Führung zum Vorteil aller in einen sinnvollen Bezug zu setzen:
Erstens Mut zur Verteidigung des Postheroismus: die Offenheit für ein neues männliches Rollenideal. Solange nur Frauen Kinder kriegen können, solange es für Männer unattraktiv erscheint, ihre traditionellen Privilegien abzutreten, wird es Frauen geben, die sich als „perfekte Mitglieder der neoliberalen Gesellschaft“ (Angela McRobbie) im Job wie zu Hause hochdiszipliniert zugrunde ackern, um als „gute“ Frauen durchzugehen. Frauenförderung ist kein Allheilmittel. Female leadership zum Wohle aller kann nur funktionieren, wenn auf die Diskriminierung nicht die Gegendiskriminierung folgt. Dazu bedarf es nicht nur einer gesellschaftlichen Aufwertung der weiblich besetzten häuslichen Sphäre – sondern auch ein neues postheroisches Männlichkeitsideal. Die verkanntesten „Helden“ unserer Zeit sind nicht die mansplainer, manspreader und Herrklärer. Es sind jene Männer, die am Herd stehen, um uns den Rücken frei zu halten; Männer, die fähig sind, die Klappe zu halten. Damit wir reden, machen, verändern können.
Zweitens Selbstreflexion: die Fähigkeit, zwischen persönlicher und institutioneller Macht, Person und Position unterscheiden zu können; und der Wille, die eigene Autorität regelmäßig zu hinterfragen. Wer qua Person und Amt Verhaltensstandards setzen will, die von anderen übernommen werden (müssen), bindet diese anderen an sich, macht sie von sich abhängig. Um die daraus resultierende autoritative Macht sinnvoll zu nutzen – um sich seiner Macht-Kompetenz zu vergewissern, sollte ein routinemäßiger Selbst-Check selbstverständlich sein: Wofür lebe ich? Was kann ich? Was will ich? Wozu bin ich legitimiert? Was rechtfertigt mein Handeln?
Und drittens Leichtigkeit: eine spielerische Haltung, die es ermöglicht, sich selbst ernst zu nehmen – aber nicht zu ernst. Die Welt ist eine Bühne, auf der wir performen. Mit Taten und Worten. Wann immer wir die Mund aufmachen, wann immer wir uns öffentlich äußern, reden wir nicht nur einfach. Wir tun etwas, wir schaffen Tatsachen. Jede Frau mit Willen zur Macht sollte sich klar machen: Ihre „Sprechakte“ (John L. Austin) können Akte der Transformation sein, weil sie eine rhetorische, theatralische Dimension haben. Jeder Akt, in dem sie die stumme Statistenrolle verweigert und den Mund aufmacht, jede Szene, in der sie spontan die Diskursmacht für sich beansprucht, sabotiert das vorgefundene Erfolgsskript.
‚Die Zukunft der Macht wird weiblich!’ Ja, wenn mehr Frauen eine spielerische Haltung wagen. Das Spiel um die Macht werden die gewinnen, die sich mit Spaß an der Sache inszenieren – und dabei dennoch sie selbst bleiben.